Ein Blick zurück

Veröffentlicht auf von Karoma

Ein Tag wie jeder andere. Wieder saß Cassilia, wie in den vergangenen zehn Jahren täglich, mit dem Mitrapriester in ihrem Arbeitszimmer, dass ihre Eltern ihr für ihre Studien hergerichtet hatten. Immer wieder ging sie zum Fenster und sah gelangweilt hinaus.
„Cassilia mein Kind, ich weiß, dass dir das Lernen nicht schwer fällt, aber trotzdem solltest du mir zuhören, wenn du irgendwann eine Mitrapriesterin, eine gute Mitrapriesterin werden willst.“, tadelte Theodatus, der Mitrapriester, sie.
„Irgendwann, Theodatus? Irgendwann? Das sagt Ihr mir nun schon seit über 10 Jahren... wann ist irgendwann?“
„Wenn du soweit bist, Cassilia.“
„Und wer entscheidet, wann ich soweit bin? Mitra, Ihr oder doch meine Eltern, die mich hier halten wollen?“, fuhr Cassilia ihr Gegenüber ungewohnt scharf an.
Theodatus senkte seinen Blick wieder auf die Schriftrollen vor sich. „Wir sollten nun weiter machen.“
Sie setzte sich seufzend zurück auf ihren Platz und nahm eine Schriftrolle zur Hand. >Das selbst ein Mitrapriester die Wahrheit verhüllt, nur um an sein Gold zu kommen. Dafür wird Mitra ihn eines Tages vor sein Gericht ziehen und verurteilen.<, ging Cassilia durch den Kopf, als sie Theodatus noch einmal kurz musterte und dann wieder zu ihren Studien zurückkehrte.

„Ich habe endgültig den Kanal voll!“, donnerte die Stimme ihres Vaters durchs Haus und ließ Cassilia unwillkürlich zusammen schrecken. „Du bist nur gelangweilt. Du bist ein Taugenichts, willst nicht schmieden, willst kein Kaufmann werden, nur saufen und feiern mit deinen Huren. Da lobe ich mir deine tugendhafte Schwester, siehst du was sie tut und was du tust?“
„Oha, Cassius ist wieder daheim...“, schmunzelte sie vor sich hin. „Aber Vater wird sich bestimmt gleich wieder abregen.“, sagte sie zu sich, während sie etwas verträumt aus dem Fenster blickte.

> Cassius, mein Bruder.< Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Cassius war nicht viel älter als sie und doch war er der ganz große Bruder. Solang sie denken konnte, stand er schützend wie ein Burgwall vor ihr, der dafür sorgte, das nichts und niemand an sie heran kam. In seiner Nähe fühlte sie sich sicher, fast nur an seiner Seite verlass sie das elterliche Haus um durch Alt-Tarantia zu spazieren.
„Das ist keine Gegend für dich, Schwester.“
„Aber du bist doch an meiner Seite, Bruder, was soll mir da schon geschehen?“, erwiderte sie mit einem lieblichen Lächeln.
Er seufzte kurz und erwiderte das Lächeln dann. Sie wusste um Cassius' Gedanken, wusste, dass alles käuflich war und seinen Preis hatte und dass ihn eben das langweilte. In ihrer Gegenwart schien er nicht allzu gelangweilt, wenn sie vom Recht Mitras sprach und versuchte es ihm noch ein Stück näher zu bringen, es ihm förmlich mit ihren Worten einprügelte. Oder war er doch, wie von allem anderen auch, von ihr gelangweilt und zeigte es nur nicht? Sie wusste es nicht, sie war nur froh ihn in ihrer Nähe zu wissen. Ihr Bruder war das Einzige, was sie noch über das Wort Mitras stellte. Was er sagte, befolgte sie, solang er nur da war.

Zu einem wahren Bergfried entwickelte Cassius sich wohl, als er merkte, dass ihm langsam nicht mehr nur die kleine Schwester sondern auch eine junge Frau gegenüberstand. Eine junge Frau, die die Blicke der Männer und das ein oder andere lose Wort auf sich zog.
„Heda... wie wär's wenn' mir was zum Schlucken und Beißen bringst und dich dann um mein körperliches Wohl kümmerst.“, rief ihr ein angetrunkener Seemann nach.
„Ich kümmer mich gleich um dein körperliches Wohl, du dreckiger Bastard.“, fuhr Cassius den Mann an.
„Tschuldige, wusst' nicht, dass die da deine Hure ist...“, entgegnete der Seemann mit einem leichten Schulterzucken.
Cassilia sah mit entsetztem Gesicht zu ihrem Bruder, nicht wissend was sie tun oder gar sagen sollte. Er erwiderte ihren Blick nicht, sonder stürmte, bar jeder Gesichtsregung auf den Seemann zu, stieß ihn zu Boden und prügelte auf ihn ein.
„Dir werd ich dein loses Mundwerk zurecht stutzen, niemand bezeichnet meine Schwester als Hure!“, brüllte er den am Boden liegenden Mann an und schlug immer fester zu, bis der Mann, der sich selbst nicht zu helfen wusste, regungslos am Boden lag.
„Komm, Schwester, ich bring dich Heim. Du warst heut lang genug hier in der Stadt.“, sagte er, während er sich wieder aufbäumte. Cassilia nickte nur stumm und sah dankbar zu ihrem Bruder.
Ihr Vater wies Cassius zurecht, zeigte jedoch etwas Verständnis, als Cassilia die Geschichte bestätigte.

Damals beruhigte ihr Vater sich wieder, so wie all die anderen Male auch. Heute war es anders. Seine Stimme klang anders, es war soviel Wut und Enttäuschung in seinen Worten.
„Dafür war ich in der Armee.“, entgegnete Cassius seinem Vater gelangweilt.
„Ja, da gehörst du auch hin. Cassius Verus. Ich will dich nicht mehr in meiner Familie haben. Du darfst neun Jahre und einen Tag nicht mehr auf eines meiner Grundstücke. Ich habe endgültig die Schnauze voll, ich will, dass endlich ein Mann aus dir wird, der mein Handelsimperium führen kann. Neun Jahre und ein Tag. Ab Morgen bei Sonnenaufgang.“
Cassilia erstarrte bei diesen Worten, das Lächeln von eben wich Ratlosigkeit, Verständnislosigkeit und Entsetzen. Ihr Vater konnte ihn doch nicht einfach davon jagen. Aber ihr Vater schien es ernst zu meinen, Cassius nahm es hin und packte seine Sachen. Den letzten Abend in diesem Haus verbrachte er saufend und gelangweilt wie immer. Cassilia ließ er nicht zu sich, sprach kein Wort mit ihr. Etwas was Cassilia nicht verstand, war ihr Bruder doch immer da gewesen, hatte sie nie davon gejagt. Sie beugte sich dem Willen ihres Bruders, so sehr es ihr auch widerstrebte ihn dort so sitzen zu lassen.
Sie setzte sich auf das große Bett, ließ ihren Blick durch ihr Zimmer schweifen. Ein Zimmer oder doch eher ein goldener Käfig, dessen Türen eigentlich stets verschlossen waren, es sei denn, ihr Bruder sperrte jene mal auf? Gewänder, Gemälde, in ihrem Arbeitszimmer ein prunkvoller Tisch, überhäuft mit Pergamenten und Büchern, die Mitras Wort in Schrift enthielten. Alles mit viel Gold erkauft und doch nichts wert. Cassilia zog ihre Knie an ihren Körper, umschloss sie mit ihren Armen, legte ihren Kopf auf die Knie und summte leise, sich dazu hin und her wiegend, einen der Lobgesänge zu Ehren Mitras. Lag Mitras Macht wirklich nur in den Worten die dort in den Büchern nieder geschrieben waren? So verging die Nacht, geschlafen hatte Cassilia nicht. Kurz vor Sonnenaufgang packte sie ihren Rucksack mit einigen Habseligkeiten. Das große Buch Mitras, ein Amulett, auf dem Mitras Zeichen zu sehen war und etwas Kleidung die schon längst ausgedient hatte. Sie zog sich ihre Reisekleidung an, stellte ihren Wanderstab und ihren Rucksack an ihr Bett und sah dann, abwartend auf die Dinge die da kommen mögen, aus dem Fenster.
Wenig später hörte sie die Tür des Hauses und sah wie ihr Bruder das Haus verließ. Ihre Eltern schienen ihn verabschiedet zu haben, doch von Cassilia nahm er keinen Abschied. „Jetzt ist es Zeit Mitras wahrem Weg zu folgen und meine Hand schützend über dich zu legen, Bruder.“, sagte sie leise zu sich und wartete bis ihre Eltern sich wieder in ihre Gemächer zurückgezogen hatten. So machte sie sich, mit Rucksack und Wanderstab bewaffnet, auf den Weg um ihrem Bruder zu folgen, kein Wort des Abschieds an ihre Eltern.

Cassilia grinste Cassius frech an, als er bemerkte, dass sie ihm folgt. Sie wusste, dass er sie jetzt nicht mehr fort schicken würde, den er wusste dass sie ihn nicht allein gehen lassen würde und ihm auch folgen würde, wenn er sie wegschickte.

„Gut“, sagte Cassius. „Aber die Welt ist nicht der Mitratempel. Tu was ich sage, wenn ich es sage, egal was ich sage. Das ist meine Bedingung.“
„Mache ich doch immer, Brüderchen...“, antwortete Cassilia lächelnd.

Veröffentlicht in Cassilia [RP]

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