Erste Schritte

Veröffentlicht auf von Karoma

Das Feuer knisterte in dem Kamin, ab und an sprangen kleine Funken hoch, wenn das Feuer an den Harz kam. Cassilia saß nahezu reglos davor, den Blick stets in die Flammen gerichtet und tief im Gedanken versunken. Ihre Hand ruhte an ihrem Hals, fest geschlossen um ihre Kette. Ihr Blick wirkte leer, nur die lodernden Flammen gaben ihren Augen ein wenig Leben. Einige Haarsträhnen fielen ihr ins Gesicht, in jedem anderen Moment hätte sie die Haare wohl mit einem Fingerstreich bei Seite geschoben, aber diesmal war es nicht so. Zwischen ihr und dem Kamin lagen leere Pergamente, Kohle, fertige Zeichnungen. Zeichnungen von Landschaften, meist aus einem Fenster heraus gezeichnet. Zeichnungen die das Symbol und zum Teil die Schrift Mitras trugen. Und dann immer wieder Bilder von einem Soldaten auf einem weißen Ross, einem Soldaten, der sich schützend vor ein Mädchen stellte, einem Soldaten, der gelangweilt in die Ferne sah.
Oben auf ein Brief, an den Seiten schon recht abgegriffen, die Schrift an einigen Stellen verwischt, da Wasser oder ähnliches sich mit der Tinte vermischt hatte.

Liebe Cassilia,

Zenra braucht meine Hilfe und ich werde ihr helfen. Ich verlange nicht dass du es gut findest, ich verlange nicht dass du es verstehst, ich möchte nur dass du es akzeptierst.
Ich übertrage dir alle Vollmachten die du brauchst und den Siegelring unserer Eltern, ich werde ihn nicht mehr brauchen.
Ich war nie ein Graf oder ein Geschäftsmann, Händler oder was auch immer ich war schon immer ein Soldat, und Soldaten müssen kämpfen für etwas von dem sie glauben dass es sich lohnt darum zu kämpfen.
Du bist der beste Teil von mir und ich weiß du machst mir keine Schande.
Ich werde dir schreiben wenn ich kann.
Möge Mitra dich und die Grafschaft segnen, und möge er dein Urteil leiten und dich auf dem Pfad der Tugend halten.

Cassius


„Ich kann es weder gut finden, noch verstehen und akzeptieren erst recht nicht.“ Sie sah wieder in das Kaminfeuer, keine Träne war sie fähig zu weinen, nicht einmal dazu, all das was vor ihr lag zu nehmen und die Flammen damit anzufachen. Ihr Blick war leer, ihr Herz war leer, denn das Einzige, was ihr ganzes Leben lang an ihrer Seite war, war nun nicht mehr da, hatte sie allein gelassen und ein riesiges Loch hinterlassen. Die Frage nach dem Warum, wütete wie ein Sturm in ihrem Kopf. Alle Erinnerungen standen in Verbindung mit ihm und sei sie noch so gering.
Die Flammen im Kamin wurden immer kleiner und nach einer ganzen Weile trat Cassilia aus ihrem Zimmer, um auf einen der Türme der Burg zu gehen. Die Sonne senkte sich langsam über das Land, das Vieh von den Toren der Stadt rottete sich zusammen um einen Schlafplatz zu suchen. Auf den Mauern patrouillierten einige Wachen und in der Stadt wurden die ersten Fackeln entzündet und hier und da sah man noch immer wen zwischen den Häusern umherlaufen. Die Sonne tauchte Poitain und die Grafschaft in einen warmen rot-goldenen Schimmer. Dieser Anblick, der ihr sonst so gut gefiel, bei dem sie so oft zu ihrem Bruder sagte, was ihr durch den Kopf ging, ließ sie vollkommen kalt. Sie stand wie erstarrt oben auf dem Turm.



Im Kopf versuchte sie nun die Worte zu fassen, die sie an die Bürger der Stadt geben würde.
„Mein Bruder hat die Grafschaft in der letzten Nacht verlassen um seinem Weg als Soldat zu folgen. Ab dem heutigen Tage werde ich, Gräfin Cassilia Verus, als eine der letzten Lebenden aus dem Geschlecht der Verus, die Aufgaben meines Bruders übernehmen und die Grafschaft leiten. Möge das Volk mich als jene ansehen.“ Sie schüttelte den Kopf. Das war sie nicht.
Sie hatte einst vor mit den Soldaten in die Schlacht zu ziehen und mit Mitras Unterstützung ihre Wunden zu versorgen. Aber wer würde eine Gräfin mit auf ein Schlachtfeld nehmen, wer würde einer Gräfin zutrauen, dass sie in der Lage ist, Wunden zu pflegen und zu heilen? Sie hatte vor, so wie die anderen Mitrapriester auf andere Menschen zuzugehen, ihnen zu helfen und ihnen ihre Sorgen abzunehmen. Aber welcher Mensch würde sein Herz einer Gräfin gegenüber öffnen, die von einer Leibgarde umgeben ist, die alles tut, um jegliches Übel von ihrer Herrin fernzuhalten? Würde sie jemals wieder einfach nach Tarantia schleichen können, um im „Grünen Mann“ auf andere Leute zu treffen, ohne gleich erkannt zu werden? Zu viele Fragen machten sich auf einmal in ihrem Kopf breit.

Noch bevor sie vor die Bewohner der Grafschaft treten konnte um etwas zu sagen, hatte sich die Neuigkeit um die Abreise des Grafen herumgesprochen und Cassilia wurde als Gräfin gesehen. Ab sofort war es nicht mehr eine Wache, die sich in ihrer Nähe befand, sondern gleich eine ganze Garde. Zu jedem Zeitpunkt wurde sie darauf hingewiesen, was sich für eine Gräfin ziemt und was nicht. Spaß ziemte sich für eine Gräfin wohl nicht, denn als sie im Grünen Mann das ein oder andere Met trank, mit Cristin lachte und sich unterhielt, tauchten bald darauf die Wachen auf, wiesen sie darauf hin wie sie sich zu verhalten hat. Und selbst die, mit denen sie eben noch gesellig am Tisch gesessen hatte, wiesen sie darauf hin, dass sich eine Gräfin so nicht zu benehmen hat. Cassilias Entschluss stand fest, so würde sie nicht glücklich werden und so würde sie die Grafschaft nur in Unheil stürzen. Sie war einfach keine Gräfin, wie die Grafschaft sie brauchte.
Sie setzte sich mit dem Stadtverwalter zusammen und besprach alles mit ihm, übertrug ihm alle Rechte um die Grafschaft zu verwalten, bis sich ein neuer Landsherr gefunden hatte.

„Arathmir, versprecht mir bitte eines.“
„Ja, Gräfin?“
„Nicht Gräfin, einfach Cassilia…“

Der alte Mann nickte.
„Versprecht mir, den Namen der Grafschaft zu erhalten. Dieses Land haben meine Eltern sich erkämpft, darum soll das alles hier eine Erinnerung, an die einst so prächtige und stolze Familie Verus sein. Mehr verlange ich nicht.“
„Cassilia, Ihr wisst, dass Ihr zu jedem Zeitpunkt zurückkehren könnt oder?“

Sie nickte knapp.
„Und was ist mit dem Grafen?“
„Ihr meint Cassius? Er schrieb selbst, dass er immer ein Soldat war und nie Graf oder Händler. Er hat alles an mich übertragen und somit das Anrecht auf einen solchen Titel sowie das Vermögen unserer Eltern verwirkt. Ich vertraue Euch Arathmir, Ihr werdet das schaffen was mein Bruder scheinends nie wollte und wozu ich noch nicht in der Lage bin. Ich erhebe kein Anrecht mehr auf die Grafschaft, nur darauf, dass der Name meiner Familie nicht nochmals in den Schmutz gezogen wird. Benötigt Ihr meine Hilfe, so bin ich immer für Euch erreichbar.“

Cassilia lächelte den alten Mann an.
„Wir werden Euch vermissen, Cassilia. Möge Mitra Euch auf dem Pfad der Tugend halten.“
Arathmir deutete eine Verbeugung an.

Kurz darauf machte Cassilia sich daran, Aushänge anzufertigen. Das war etwas was sie den Bewohnern der Grafschaft schuldig war, wenn sie ihnen auch nicht alles mitteilen konnte.

Nicht wirklich wissend, was nun genau vor ihr lag, verliess sie die Grafschaft. Sie hatte vorerst Unterschlupf bei den Priestern im Mitratempel von Tarantia erhalten. Abends ging sie zumeist in den grünen Mann. Hier hielten sich oft die Wachen der Grafschaft auf, wenn sie ihre freie Zeit hatten. Aber auch viele andere bekannte und auch neue Gesichter waren hier anzutreffen. Auch wenn sie sich noch nicht wirklich an den rauen Ton gewöhnt hatte, fiel es ihr schon deutlich leichter als bei ihrem ersten Besuch in dieser Taverne.

Veröffentlicht in Cassilia [RP]

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